Wie werden Tagträume zu Ideengebern?
Wer schreibt sitzt am Schreibtisch, blickt auf den Bildschirm und haut in die Tasten. Lauter reelle Dinge. Oft schieben sich aber un-reelle Dinge dazwischen, wie der Zweifel, wann der Text wohl fertig sein wird, ob die Geschichte funktioniert und ob es im Kühlschrank noch was von der Lasagne gibt. Manchmal geht auch der Blick in die Ferne und wir beginnen zu träumen, ohne es eigentlich zu merken.
Tagträume sind flüchtige Erscheinungen. Wie kann man sie einfangen? Wie kann man überhaupt den Moment erwischen, in dem man mit offenen Augen in eine Phantasiewelt eintaucht? Das Gehirn ist entspannt, macht einen Spaziergang. Erholsam ist das, sagen Schlafforscher.
In Ruhephasen entstehen Tagträume leichter. Beim Warten an der Kasse, auf den Bus, auf das Umschalten der Ampel, oder unter der Dusche und beim Spazieren gehen. – In welchen Situationen kommen Ihre Tagträume zu Besuch?
Was haben Tagträume mit Schreiben zu tun?
Die Idee ist Folgende: Jede*r Schreibende hängt manchmal an einer Stelle fest. Dann ist es gut kurz innezuhalten und sich zu fragen, woraus genau dieser ‚Text-Knoten‘ besteht. Welche offene Frage steht im Raum?
Ein Beispiel – Ich erinnere mich an eine Autorin, Ella, die eine Liebesgeschichte schrieb. Sie ist eine glückliche Drauflosschreiberin, d.h. es fällt ihr leicht, Seite um Seite mit ihrer Geschichte zu füllen. Nach einer Weile hält sie dann inne, liest ihren Text und ist trotz der Fülle unzufrieden: Dort steht nicht, was sie erzählen möchte. Sie findet die Handlung vorhersehbar und ihre Charaktere flach. Und dabei wollte sie doch viel mehr mit Ihrer Geschichte sagen, als das, was auf dem Papier steht …
Was tun?
Den ersten Schritt hat Ella getan, sie hat das Problem benannt: „Meine Figuren finde ich uninteressant.“ Sie wollte wissen, wie sie ihren Koch und die Journalistin ‚runder‘ und echter gestalten kann.
Fragen nach dem Alltag der Figuren tauchten auf und nicht nur das. Was bewegt sie? Was brauchen sie? Es ging also darum, tiefer zu graben. – Also einfach wieder an den Schreibtisch setzen, auf den Bildschirm schauen und in die Tasten hauen?
Tagträumen im Café
Viel schöner und anders wäre ein Besuch im Café, einfach dort sitzen, den Zucker im Milchschaum verschwinden sehen, Leute betrachten, die dort ihre Zeit verbringen und sich fragen: Wer ist die Frau, die im Herbst noch keine Socken trägt? Was macht sie den ganzen Tag? Ist sie glücklich? Wen hat sie zum letzten Mal geküsst? Ihren Sohn oder einen Geliebten? Was macht sie traurig? Eine Melodie, eine Schilddrüsenunterfunktion, ihre überhitzte Schwester?
Die Gedanken schweifen lassen, entlang der Frage, die ein Text gerade aufwirft. Im ‚Knoten‘ den ein Text hat, verbirgt sich auch schon die Antwort. Oft hilft gelenktes Tagträumen, um einer Lösung auf die Schliche zu kommen. Probieren Sie es aus? Gehen Sie ins Café? Viel Spaß dabei!
P.S. – Ella ist nicht ins Café gegangen. Sie kann beim Drauflosschreiben tagträumen und hat so ihre Figuren Schicht um Schicht runder gemacht.