Einen eigenen Roman schreiben - Charakterstudie oder Thriller?

Michael hat schon das Gerüst für seine Geschichte gebaut, als wir uns treffen. Leider hängt er an dieser Stelle fest. Erst als er die passende Konstellation für seine Figuren findet, kommt er wieder ins Schreiben.

Als begeisteter Krimileser möchte Michael ein eigenes Buch schreiben – keinen Krimi, eher einen Thriller oder die Charakterstudie eines Attentäters. Wenn Michael eine Idee hat, schreibt er drauflos und bringt sich ‚unterwegs‘ selbst das Nötige bei. Das macht ihm Spaß und es hat bei seinem ersten Buch-Projekt schon gut funktioniert. Dieses Mal bekommt er allerdings seine Figuren nicht ’sortiert‘.

Eine Grundidee, die Spannung verspricht

Bevor wir uns zusammensetzen, studiere ich seine Texte und Skizze für den Aufbau der Geschichte. Die Ausgangsidee finde ich interessant: Zwei grundverschiedene Brüder, Bauer und Kriegsreporter, lernen sich erst als erwachsene Männer kennen. Die Teenager-Tochter des jüngeren soll in dieser Konstellation auch eine tragende Rolle spielen. Mit einer so kleinen Anzahl von Figuren ähnelt die Geschichte einem Kammerspiel. Die Lesenden haben Zeit, sie in der Tiefe kennenzulernen.

Suche nach dem Knoten

Für Michael stellt der Ablauf der Handlung keine große Hürde dar: Er hat sie schon in groben Zügen entworfen und Meilensteine festgelegt. Er weiß, wie die Geschichte in der norddeutschen Einöde beginnen und enden sollte. Wo liegt also das Problem? Michael hadert mit der Figurenkonstellation: In welchem Verhältnis sollen die grundverschiedenen Brüder stehen? Welche (Loyalitäts)Konflikte erlebt die Tochter?

Werkzeug aus der Dramaturgie-Kiste

Wir setzen uns einen Vormittag zusammen und wälzen Ideen und Fragen, die auch bei der Entwicklung von Drehbüchern hilfreich sind: 

  • Wer von den beiden Brüdern soll der Protagonist sein, wer der Antagonist?
  • Wessen Geschichte ist es?
  • Wer hat den größten inneren Konflikt?
  • Wer lernt etwas über sich, wer nicht?
  • … oder ist die Figurenkonstellation sinnvoller mit einer dominanter Figur und einer Hauptfigur, wie im Film Amadeus?
  • … oder sollen alle drei Figuren gleich stark gezeichnet werden? Dann gäbe es ein Figuren-Ensemble. In diesem Fall würde ein starkes Thema die Entwicklung aller Figuren unter einem Dach vereinen.

Knoten gelöst

Nachdem wir drei Möglichkeiten durchgespielt hatten, sieht Michael intuitiv klar. Er weiß jetzt, welche Figurenkonstellationen in Filmen oder in der Literatur funktionieren, und entscheidet sich daher leicht für die Variante, die am besten zu seiner Geschichte passt. Dadurch ergeben sich auch spannende Ideen für neue Szenen. Nach diesen Erkenntnissen schreibt Michael beflügelt weiter.

Die erste Fassung seines Romans liegt vor – und auch ein Exposé. Damit geht er auf die Suche nach einem Literatur-Agenten.

Viel Glück!